Technisch - physikalische Grundlagen

Erschütterungen (auch als „Körperschall” bezeichnet) sind „mechanische Schwingungen fester Körper mit potentiell schädigender oder belästigender Wirkung” [03]. Die Beschreibung der Stärke von Erschütterungen erfolgt mit der Schwinggeschwindigkeit, die auch als „Schnelle” bezeichnet und in mm/s gemessen wird. Die Ausbreitung, mechanische Einwirkung und Fühlbarkeit von Erschütterungen ist stark frequenzabhängig, so daß die o.a. Beschreibungsgröße stets zusammen mit ihrem Frequenzspektrum betrachtet werden muß.

Durch Bautätigkeit im Bestand, Industrieanlagen, Sprengungen, Straßenverkehr usw. werden Erschütterungen verursacht, die sich vom Ort der Entstehung (Emissionsbereich) in Form elastischer Wellen durch die Bodenschichten der Umgebung (Transmissionsbereich) ausbreiten und dabei den Bodeneigenschaften entsprechend abgemindert werden, bevor sie mit unterschiedlicher Stärke auf die Fundamente und Decken benachbarter Gebäude (Immissionsbereich) einwirken. Sie können von den dort befindliche Menschen über den Tastsinn wahrgenommen werden und diese mitunter erheblich belästigen bzw. sogar gesundheitlich schädigen.

Dokumente

[01]      DIN 45669-1: Messung von Schwingungsimmissionen - Teil 1: Schwingungsmesser – Anforderungen und  Prüfungen, 

[02]      DIN 45669-2: 2005-06 Messung von Schwingungsimmissionen - Teil 2: Messverfahren, [03]     

[03]      DIN 4150-1: 2001-06: Erschütterungen im Bauwesen, Teil 1: Vorermittlung von Schwingungsgrößen  

[04]      DIN 4150-2: 1999-06: Erschütterungen im Bauwesen, Teil 2: Einwirkungen auf Menschen in Gebäuden,

[05]      DIN 4150-3: 2016-12: Erschütterungen im Bauwesen, Teil 3: Einwirkungen auf bauliche Anlagen

[06]      Leitlinie zur Messung, Beurteilung und Verminderung von Erschütterungsimmissionen  (Erschütterungs-                    Leitlinie) des Länderausschusses für Immissionsschutz(LAI) vom 06.03.2018.

[07]      BVerwG, Urteil vom 21. Dezember 2010, Az. 7 A 14.09.

[08]      VGH- Baden-Württemberg, Urteil vom 11.02.2004, Az. 5 S 384/03

[09]     OLG Koblenz, Urteil vom 18.11.2009 - 1 U 491/09.

[10]     OLG Hamburg, Urteil vom 27.11.2009 - 14 U 91/09.

[11]      Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vom 25. Mai 1976 (BGBl. I S. 1253), zuletzt geändert durch                                  Art.2, Abs.1G   vom 14. August 2009 (BGBl. I S. 2827, 2839).

[12]      Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung - VgV), 12. April 2016 (BGBl. I S.                       624), zuletzt geändert durch Art. 1 V v. 12.7.2019  (BGBl. I S. 1081).

Rechtsgrundlagen

Für die Prognose, Messung und Beurteilungen von Erschütterungen existieren z. Zt. keine verbindlichen Rechtsvorschriften. Die Rechtsprechung hat jedoch in den letzten Jahren mehrfach die Anwendung der DIN 4150 - Teil 2 [04] (für die Einwirkung von Erschütterungen auf Menschen in Gebäuden), z.B. [07], [08]  sowie der DIN 4150 - Teil 3 [05] (für die Einwirkung von Erschütterungen auf Gebäude), z.B. [09], [10] für zulässig erklärt.

Zur Einwirkung von Erschütterungen auf Gebäude wurde z.B. entschieden: „Auch wenn es sich bei DIN-Normen nicht um mit Drittwirkung versehene Normen im Sinne hoheitlicher Rechtsetzung, sondern um auf freiwillige Anwendung ausgerichtete Empfehlungen des „DIN Deutschen Instituts für Normung e.V.“ handelt, so spiegeln sie doch den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wieder und erhalten daher geeignete Richtwerte, die im vorliegenden Fall zur Bestimmung der maßgeblichen Sorgfaltsanforderungen herangezogen werden können”  [08], Abs. 15.

Beurteilungsgrößen und Beurteilungsverfahren

Nach den oben angeführten Grundlagen erfolgt die Beurteilung von Erschütterungseinwirkungen nach DIN 4150. Dabei wird geprüft, ob die in der Norm angegebenen Anhaltswerte, entsprechend den vorliegenden Umständen eingehalten werden. Wenn das der Fall ist, kann davon ausgegangen werden, daß die betreffenden Erschütterungen keine Schäden und keine erheblichen Belästigungen verursachen. Andernfalls werden geeignete Schutzmaßnahmen erforderlich, mit denen die Erschütterungen so abgemindert werden, daß die Einhaltung der Anhaltswerte gewährleistet ist.

Die maßgebliche Beurteilungsgröße für die Einwirkung von Erschütterungen auf bauliche Anlagen ist nach DIN 4150-Teil 3 [05] die maximale Schwinggeschwindigkeit vmax. Die Beurteilung erfolgt für das Gebäudefundament und die oberste Deckenebene gesondert, durch den Vergleich der gemessenen bzw. prognostizierten Werte mit den jeweils anzusetzenden Anhaltswerten der Schwinggeschwindigkeit vi nach [05], Tabelle 1.

Als Beurteilungsregel gilt nach [05], Abschnitte 5.1 und 6.1:  "Werden die Anhaltswerte ... eingehalten, so treten Schäden im Sinne einer Verminderung des Gebrauchswertes, deren Ursachen auf Erschütterungen zurückzuführen wären, nach den bisherigen Erfahrungen nicht auf. Werden trotzdem Schäden beobachtet, ist davon auszugehen, daß andere Ursachen für diese Schäden maßgebend sind."

Die Beurteilung von Erschütterungen hinsichtlich ihrer Einwirkung auf Menschen in Gebäuden erfolgt nach einem komplizierteren Beurteilungsverfahren auf der Grundlage der DIN 4150-Teil 2 [04]:

Dabei wird das beobachtete Erschütterungssignal, d.h. die Zeitfunktion der Schwinggeschwindigkeit v(t) zunächst einer Frequenzbewertung unterzogen. Die Gleichung für die Umrechnung in das frequenzbewertete Erschütterungssignal KB(t) lautet

mit fo = 5,6 Hz und f = Frequenz des Erschütterungssignals. Danach wird eine Zeitbewertung durch Berechnung des gleitenden Effektivwertes nach folgender Gleichung durchgeführt

Wenn dabei für die Zeitkonstante 0.125 s eingesetzt wird, erhält man die bewertete Schwingstärke KBF(t). Der maximale Werte dieser Zeitfunktion ist die maximale bewertete Schwingstärke KBFmax .

Nach [04], Anhang D, 6b liegt die Schwelle, von der ab Erschütterungen von den meisten Menschen gespürt werden, „im Bereich zwischen KB = 0.1 und KB = 0.2”. In Wohnungen „werden auch bereits gerade spürbare Erschütterungen als störend empfunden. Erschütterungseinwirkungen um KB = 0.3 werden beim ruhigen Aufenthalt in Wohnungen überwiegend bereits als gut spürbar und entsprechend stark störend wahrgenommen”.

Das Beurteilungsverfahren besteht aus zwei Phasen, wobei in der ersten Phase geprüft wird, ob die jeweils zutreffenden Anhaltswert Au bzw. Ao nach [04], Tabelle 1 eingehalten werden, d.h. ob die maximale bewertete Schwingstärke KBFmax kleiner ist, als diese Anhaltswerte. Wenn das für Au der Fall ist, sind die Anforderungen der Norm eingehalten. „Erhebliche Belästigungen liegen im allgemeinen nicht vor, wenn die Anhaltswerte dieser Norm eingehalten werden” [04], Abs. 4.

Wenn Ao überschritten wird, hat der Betroffene nach VwVfG § 74 Abs. 2 Satz 3 [10] Anspruch auf Schutzmaßnahmen vor Erschütterungen und/oder Entschädigungen.

Wenn die Werte der maximalen bewerteten Schwingstärke KBFmax zwischen Au und Ao liegen, erfolgt in einer zweiten Phase neben der Prüfung der Stärke der Erschütterungen auch die Berücksichtigung ihrer Häufigkeit durch Berechnung des Taktmaximal-Effektivwertes KBFTm getrennt für den für den Tag- und Nachtzeitraum sowie für besondere Ruhezeiten.

Anhaltswerte

Bei der Beurteilung der Einwirkung von Erschütterungen auf Bauwerke ist nach [05] zu unterscheiden zwischen der Einwirkung auf das Fundament und auf die jeweils oberste Gebäudedecke. Für kurzzeitige Erschütterungen gelten die in [05], Tabelle 1 angegebenen Anhaltswerte.

Der für den zu beurteilenden konkreten Fall zutreffende Wert ist nach der jeweiligen Gebäudeart und der vorherrschenden Frequenz des Erschütterungssignals zu bestimmen. Für Frequenzen, die innerhalb der angegebenen Grenzen liegen, ist der Anhaltswert  durch lineare Interpolation zu ermitteln.   

Wenn die Eigenfrequenz der obersten Deckenebene mehrstöckiger Gebäude in der Nähe der verkehrsbedingten Schwingungen am Einwirkungsort liegt, können diese Resonanzschwingungen verursachen. In diesem Fall gelten die Anhaltswerte für die Schwinggeschwindigkeit zur Beurteilung der Wirkung von Dauererschütterungen auf Bauwerke nach [05], Tabelle 3. 

Für die Beurteilung der Einwirkungen von Erschütterungen auf Menschen in Wohnungen und vergleichbar genutzten Räumen in Gebäuden gelten die, in [04], Tabelle 1  für die Zeiträume 06:00 bis 22:00 Uhr (Tag) und 22:00 bis 06:00 Uhr (Nacht) angegebenen Anhaltswerte. Die Bestimmung des jeweils zutreffenden Einwirkungsortes erfolgt in der Regel auf der Grundlage der Flächennutzungs- bzw. Bebauungspläne der Gemeinden, kann jedoch unter dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit gegen Erschütterungen davon abweichen.

Bei Erschütterungen durch Bauarbeiten sind zusätzlich die Dauer der Eiinwirkung auf Menschen in Gebäuden und die Stufe der Belästigung nach [04], Tabelle 2 zu berücksichtigen. Ab Stufe II werden besondere Maßnahmen zur Minderung erhebllicher Belästigungen und psychischer Auswirkungen erforderlic.h.

Maßnahmen zur Minderung erheblicher Belästigungen

Zur Verminderung erheblicher Belästigungen und psysichischer Auswirkungen sollten nach [04], Abs. 6.5.4.) folgende Maßnahmen vor Beginn der Bauarbeiten durchtgeführt werden:

  • Umfassende Information der Betroffenen, z.B. über die Maßnahmen, die Verfahren, die Dauer und die zu erwartenden Erschütterungen aus dem Baubetrieb.
  • Aufklärung über die Unvermeidbarkeit von Erschütterungen und die damit verbundenen Belästigungen (möglichst mit Empfehlungen über Verhaltensweisen zur Minderung von Erschütterungswirkungen (z.B. Sicherung zerbrechlicher Güter wie Gläser, Porzellan usw., Absenkung des Wasserspiegels in Aquarien, Sicherung labil aufgestellter schwerer Gegenstände wie z.B. Blumenkübel auf Balkonbrüstungen usw.).
  • Benennung einer Ansprechstelle, an die sich Betroffene wenden können, wenn sie besondere Probleme durch Erschütterungseinwirkungen haben (z.B. "Sorgentelefon").

Während der Bauarbeiten sollten in Abhängigkeit von der Stärke der Einwirkungen folgende Maßnahmen durchgeführt werden:

  • Baubetriebliche Maßnahmen zur Minderung und Begrenzung der Belästigungen (Einsatz erschütterungsarmer Maschinen und Betriebsweisen, Einhalten von Pausen und Ruhezeiten usw.).
  • Information der Betroffenen über die Erschütterungseinwirkungen auf das Gebäude.
  • Nachweis der tatsächlich auftretenden Erschütterungen durch Messungen sowie deren Beurteilung bezüglich der Einwirkungen auf Menschen und Gebäude.
  • Nachweis, daß die baubedingten Erschütterungen keine Gebäudeschäden verursachen, durch optische Beweissicherung vor, während und nach Abschluß der Baumaßnahme.